AfA Niederbayern lehnt Koalitionsgespräche auf Basis der vorliegenden Sondierungsergebnisse ab

Veröffentlicht am 17.01.2018 in Bundespolitik

Gerechtigkeitsreformen und Aufbruch statt Weiter-So und Flickschusterei

Nach dem kläglichen Scheitern einer quälend langen Jamaika-Sondierung stand Angela Merkel, die Kanzlerin ohne Ideen und Visionen für die Zukunft des Landes mit dem Rücken zur Wand. Es war an der SPD-Führung, diese Konstellation dafür zu nutzen, um den nunmehr fällig werdenden politischen Preis von Merkel einzufordern: eine Regierungsbildung, die mit der neoliberalen Spielanordnung bricht und echte soziale Strukturreformen bei Rente, Gesundheit, sozialen Wohnbau oder bei der Europäischen Währungsunion zumindest einleitet und in Gang setzt. Die einen echten politischen Aufbruch für eine gerechte Wirtschafts- und Sozialordnung organisiert. Denn eine erneute Große Koalition kann nur dann zu einem Erfolg werden, wenn sie Bewegung in die offenen Zukunftsfragen  bringt, mit den Fehlentwicklungen des Neoliberalismus aufräumt und damit den Menschen in einem "Zeitalter der Angst" neue Zuversicht und Hoffnung vermittelt. Mit der Beseitigung einiger Ungerechtigkeiten, wie sie auch schon im Rahmen der letzten Großen Koalition beschlossen wurden, lässt sich die Zukunft nicht gewinnen. Dafür ist viel zu viel aus den Fugen geraten in den letzten beiden Jahrzehnten.

Doch die Sondierungsergebnisse verfehlen diesen Anspruch. Die Ergebnisse verhandeln nicht unsere Zukunft, sondern sie verwalten nur die Gegenwart.  Aufbruch sieht anders aus.

Aufbruch hätte bedeutet, dass es zumindest einen Einstieg in eine Bürgerversicherung im Gesundheitswesen gibt (etwa über eine einheitliche Honorarordnung für Ärzte). Beschlossen wurde lediglich, dass die vor über zehn Jahren eingeführte Ungerechtigkeit eines Zusatzbeitrages nur für Arbeitnehmer wieder abgeschafft wird.

Aufbruch hätte bedeutet, dass das gesetzliche Rentenniveau dauerhaft wieder auf mindestens 50 Prozent angehoben wird. Beschlossen wurde jedoch nur, was schon im alten Koalitionsvertrag stand (Mindestrente nach 35 Beitragsjahren nach Bedarfsprüfung) oder was ohnehin eintreten wird (das gesetzliche Rentenniveau wird nämlich erst nach 2025 fallen).

Aufbruch hätte bedeutet, dass endlich eine durchgreifende Erbschaftsbesteuerung erfolgt, wenn milliardenschwere Konzerne übergeben werden oder wenigstens die Vermögenssteuer für mehrfache Millionäre wieder erhoben wird (wie bis 1996). Um die jeder Chancengerechtigkeit Hohn sprechende Ungleichheit bei der Vermögensverteilung einzudämmen.

Aufbruch hätte bedeutet, der permanenten Ausweitung der Leiharbeit Grenzen zu setzen, indem der Grundsatz „gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit“ nicht erst nach 9 Monaten greift, sondern sofort oder spätestens nach einigen Wochen (nach 9 Monaten sind die allermeisten Leiharbeitsverhältnisse ohnehin beendet).

Aufbruch hätte bedeutet, der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen ein Ende zu setzen. Wir wollen den Menschen mehr Sicherheit am Arbeitsplatz und eine längerfristige Lebensplanung ermöglichen. Als „Partei der Arbeit“ kann die SPD nicht akzeptieren, dass diese Thematik in Koalitionsvereinbarungen schlicht ausgeklammert wird.

Aufbruch hätte bedeutet, die Mietpreisbremse endlich scharf zu machen mit einer Offenlegungspflicht der Vormiete. Die dringend erforderliche Verbreiterung der Grundlage für den Mietspiegel (heute fließen nur die Neuvermietungen der letzten vier Jahre, aber keine Bestandsmieten ein) wird nur "geprüft". Die Mietpreisbremse soll nach Ablauf nur "evaluiert", aber nicht sofort nachgebessert werden.

Aufbruch hätte bedeutet, die Maßnahmen und Zeitachsen konkret zu benennen, wie und wann die Steuervermeidung von Konzernen und Superreichen unterbunden werden kann. Statt bei den üblichen unklaren Absichtserklärungen zu verharren.

Aufbruch hätte bedeutet, aus einem Mindestlohn, der vor krassen Formen der Ausbeutung schützt einen Mindestlohn zu formen, der auch vor Altersarmut besser schützt (Olaf Scholz hat hierzu vor einigen Wochen eine Höhe von 12,50 Euro anvisiert).

Aufbruch hätte bedeutet, der investitionsfeindlichen „Schwarzen Null“ Schäubles ein 10-Mrd-Euro Programm allein für sozialen Wohnungsbau entgegenzusetzen. Der seit über 10 Jahren brachliegt mit entsprechendem Nachholbedarf, weil es immer weniger sozial gebundenen Wohnraum gibt. Die Mittel des Bundes für den sozialen Wohnungsbau sollen nur bis 2021 verlängert, aber nicht deutlich erhöht werden. Die Förderung der Eigentumsbildung setzt angesichts fehlenden Sozialwohnungen den völlig falschen Akzent. Es wird nichts geregelt zur Reform des Bodenrechts und uach nichts zu einem Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen.

Aufbruch hätte bedeutet, endlich einen sozialverträglichen Pfad aus der im Kern weiter schwelenden Eurokrise einzuschlagen. Jeder weiß, dass die Europäische Währungsunion nur deshalb nicht auseinandergebrochen ist, weil die Europäische Zentralbank mit ihrer seit Jahren andauernden Niedrigzinspolitik Zeit kauft. Diese Politik löst aber erstens nicht das eigentliche Problem und kann zweitens nicht ewig fortgesetzt werden. Dazu müssten die gravierenden Konstruktionsfehler der Währungsunion beseitigt und eine zum Dogma geronnene und im Kern neoliberale Austeritätspolitik überwunden werden. Denn sie geht immer nur zu Lasten der Lohn- und Sozialeinkommen der unteren und mittleren Schichten, führt zum drastischen Abbau von Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechten und verschärft die Verschuldungsproblematik in den Schuldnerländern.

Aufbruch hätte auch bedeutet, für eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik einzustehen ohne die Begrenzung des Familiennachzugs und Maßnahmenpakete für eine Obergrenze an Geflüchteten festzulegen. Solidarität, Menschlichkeit und Integration auf der einen Seite und mehr Unterstützung der Kommunen und Länder auf der anderen Seite wären Grundlagen für ein gelingendes Miteinander gewesen.

Nichts davon findet sich in den Sondierungsergebnissen oder - bestenfalls - in homöopathischer Dosierung bzw. in höchst vagen Absichtserklärungen (wie auch schon im alten Vertrag, z. B. der verbale Verweis auf die Finanztransaktionssteuer ohne nähere Auslassung, wie dies gegenüber Frankreich durchgesetzt werden soll). Stattdessen: einige soziale Verbesserungen und längst überfällige soziale Korrekturen, die teilweise schon im Rahmen des letzten Koalitionsvertrages vereinbart waren, aber von Angela Merkel ausgebremst wurden (eingeschränkter Anspruch auf Rückkehr zur Vollzeit, Mindestrente).

Es ist Koalitionsbildung auf Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners. Ein Verwalten der horrenden fiskalischen Überschüsse, die der wirtschaftliche Aufschwung den öffentlichen Haushalten beschert hat. Das Sondierungsergebnis führt schmerzlich vor Augen, welche engen Grenzen einer konsequent sozialen Politik unter neoliberalen Geschäftsbedingungen bzw. unter den Prämissen der investitionsfeindlichen "Schwarzen Null" gesetzt sind. Für einige Sozialreparaturen reicht es.

Für die Wiederherstellung eines lebensstandardsichernden gesetzlichen Rentenniveaus oder für einen echten armutsfesten Mindestlohn dagegen schon nicht mehr. Nicht einmal in längeren Aufschwungphasen. Von einer Bürgerversicherung ganz zu schweigen.

Es erfordert nur wenig politische Phantasie, um sich den weiteren Gang der politischen Dinge im Rahmen einer neuen GroKo auf dieser Grundlage vorstellen zu können. Die Unionsparteien können von oben bis unten wunderbar damit leben. Und werden sich im Laufe der kommenden Legislaturperiode auch noch die überschaubaren sozialdemokratischen Verhandlungserfolge auf die Fahnen schreiben. Während die sozialdemokratische Wähler- und Aktivenbasis eher gespalten sein wird. Keine guten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Erneuerung der SPD und die Gewinnung neuer Wählerschichten.

Bei den Wählerinnen und Wählern wird sich zudem der Eindruck verfestigen, dass die Unterschiede zwischen SPD und Union eher gradueller als grundsätzlicher Natur sind. Und dass sie als Regierungsparteien im Grunde gut zusammenpassen. Besser jedenfalls, als jede andere Regierungskonstellation. Die für eine lebendige Demokratie so wichtige produktive Polarisierung zwischen einer demokratischen Rechten und einer demokratischen Linken bleibt stillgelegt. Neben den liegengebliebenen Zukunftsfragen ist das – mit Blick auf den wachsenden Rechtspopulismus - vielleicht die grösste Erblast, die eine GroKo in der Dauerschleife dem Land hinterlassen wird.

Die Aufgabe der SPD ist eine ganz andere: sie muss eine grundlegende wirtschafts- und sozialpolitische Alternative gegenüber den Konservativen verkörpern und couragiert für den Ausbruch aus der neoliberalen Spielanordnung kämpfen. Und sie muss genau diesen Ausbruch bzw. die damit verbundenen Forderungen zum Gegenstand von Wahlkämpfen wie von Verhandlungen machen. Sie darf den Menschen die grundlegende Alternative nicht weiter vorenthalten. Sonst droht der deutschen Sozialdemokratie ein ähnliches Schicksal wie den französischen, griechischen oder niederländischen Sozialdemokraten.

Die Sondierungsergebnisse können diesem Anspruch nicht im Ansatz gerecht werden. Aus diesen Gründen halten wir Koalitionsgespräche auf Grundlage der vorliegenden Sondierungsergebnisse für nicht sinnvoll. Ohne substanzielle Ergänzungen sozialdemokratischer Kernthemen (Leiharbeit, Befristungen, dauerhafte Stabilisierung Rentenniveau, sozialer Wohnbau) können wir den Mitgliedern keine Koalitionsbildung mit den Unionsparteien empfehlen.

 

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